Künstlerplakat der Donaueschinger Musiktage 2023 von William Kentridge

Donaueschingen

Donaueschinger Musiktage 2023
19. - 22.10.2023
23 Uraufführungen und Klanginstallationen unter dem Titel „collaboration“

Die Donaueschinger Musiktage 2023 starten am Donnerstagabend, 19. Oktober, mit einer Podiumsdiskussion zum Thema „Künstlerische Zusammenarbeiten“ und stimmen damit auf das diesjährige Festival ein, das unter dem Titel „collaboration“ steht. Im Konzert am Freitag, 20. Oktober, 20 Uhr, stellt das SWR Symphonieorchester mit dem ersten Werk für Symphonieorchester der 91-jährigen Éliane Radigue seine außergewöhnliche Offenheit und Flexibilität unter Beweis. Dem Werk, das Radigue gemeinsam mit Carol Robinson komponiert hat, liegt keine Partitur zugrunde. Seine Entwicklung und Einstudierung vollzog sich vielmehr allein auf Basis mündlicher Überlieferung. Unter der Leitung von Baldur Brönnimann sind zudem neue Werke von Matana Roberts und Clara Iannotta zu hören. Roberts hat eine Textpartitur geschaffen; Iannotta eine neue Version ihres Konzerts für zwei Posaunen, Orchester und Elektronik. Hinzu kommt die deutsche Erstaufführung eines Werks von Sara Glojnarić. Umrahmt wird das erste Orchesterkonzert zum einen von der Konzertinstallation von Wojtek Blecharz für fünf Performer und ein „Orchester“ von 220 kabellosen Lautsprechern (20.10., 17 und 22:30 Uhr). Zum anderen untersucht das Quartett Die Hochstapler zusammen mit der Hörspielmacherin Antje Vowinckel, dem Stimmkünstler Mat Pogo und der neapolitanischen Sängerin Cristina Vetrone in einem kollektiven Prozess die Stimme als maximal formbares musikalisches Material (20.10., 18 und 23 Uhr).

SWR Experimentalstudio © SWR

Die Musiktage bieten in diesem Jahr insgesamt 23 Uraufführungen, von denen etwa 70 Prozent von Künstlerinnen stammen. Mehr als zwei Drittel aller Komponist:innen sind zum ersten Mal beim Festival präsent. Die seit etlichen Jahren erstmals wieder zugängliche Orangerie bildet gemeinsam mit dem Museum Art.Plus und dem Fischhaus das Klangkunstzentrum in der Mitte der Stadt mit insgesamt vier kostenlos zugänglichen Klanginstallationen.

Lydia Rilling | © SWR

Wir sprachen mit Lydia Rilling über die Neuausrichtung und die Pläne für die Donaueschinger Musiktage.

Sie werden in diesem Jahr (19.–22.10.2023) erstmalig für das Programm der Musiktage verantwortlich sein. Die SWR Programmdirektorin sprach davon, dass es mit Ihnen einen „Generationen- und Blickwechsel“ geben werde. Wie sieht dieser aus? Was haben Sie sich für Donaueschingen vorgenommen? Was steht in Ihrem Fokus für die nächsten Jahre?

Zwei Prinzipien sind für meine Pläne für die nächsten Jahre bestimmend, nämlich zum einen, Verbindungen herzustellen und das Festival stärker zu vernetzen, und zum anderen, die Musiktage zu erweitern. Diese beiden Prinzipien erstrecken sich auf alle Dimensionen des Festivals – künstlerisch-ästhetisch, medial, geografisch und perspektivisch. Das Festival wird sich dabei in jedem Jahr einem bestimmten Thema widmen. Mir ist es grundsätzlich wichtig zu zeigen, dass zeitgenössische Musik tief in der aktuellen Gegenwart verankert ist. All die großen Themen, die uns jenseits der Musik umtreiben, werden auch in und mit ihr verhandelt, auch wenn sie sich natürlich keinesfalls darauf beschränken lässt.

Wie war und ist der Spielraum für Veränderungen auf den Schultern einer 100-jährigen Festivalgeschichte?

Grundsätzlich ist der Spielraum für Veränderungen groß. Es gibt einiges, was ich erhalten möchte, wie die zentrale Rolle des SWR Symphonieorchesters und der anderen SWR Klangkörper und natürlich das große und leidenschaftliche Publikum. Auch wenn ich vieles anders gestalten werde, wird sich im Rahmen der bestehenden Strukturen und des vorhandenen Budgets nicht alles von einem Jahr auf das andere ändern. Das ginge z.B. dieses Jahr auch gar nicht, da die Planung etwa der Hälfte der Konzerte noch von meinem Vorgänger stammt, nicht zuletzt aufgrund der vielen Covid-Verschiebungen. Vieles wird sich im Laufe der Zeit entwickeln und verändern.

Kwadrofonik Majewska | © SWR / Ralf Brunner

Welche Rolle spielen Frauen in der Neuen Musik? Björn Gottstein hat bei seinem letzten Festival 2021/22 die „Frauenquote“ deutlich erhöht, was längst überfällig war. Hat dies zu einer Bewusstseinsveränderung beigetragen und ist Ihnen dies für mehr programmatische Vielfalt und Gleichberechtigung der Geschlechter hilfreich?

Glücklicherweise spielen Frauen inzwischen eine zentrale Rolle in der zeitgenössischen Musik – als Komponistinnen, als Musikerinnen, als Dirigentinnen, als Managerinnen, als Festivalleiterinnen etc. Ich habe seit Beginn meiner Tätigkeit als Kuratorin immer großen Wert darauf gelegt, sehr viele Komponistinnen unterschiedlicher Generationen im Programm zu präsentieren und zwar unabhängig von Quoten. 2023 wird das Programm der Donaueschinger Musiktage zu etwa 70% von Frauen stammen, das ist sicher beispiellos in der bisherigen Geschichte des Festivals.

Ist ein Klangkunst-Museum in Donaueschingen oder anderswo als Ort, der die Musiktage und die Neue Musik ganzjährig repräsentiert, hör- und erfahrbar macht, nicht schon lange überfällig?

Ein ganz der Klangkunst gewidmetes Museum wäre für Deutschland natürlich sehr wünschenswert. In Donaueschingen gibt es inzwischen aus dem Wunsch heraus, Klangkunstinstallationen ganzjährig erfahrbar zu machen und nicht nur während der Festivalzeit, die Initiative, Klanginstallation der Donaueschinger Musiktage zu verstetigen, also dauerhaft zu installieren. Das finde ich sehr wichtig, und ich werde es auf jeden Fall unterstützen und fortführen.

Klanginstallation Donausprung | © SWR

Wie viel „Nachhaltigkeit“ liegt in der Neuen Musik, in Auftragskompositionen und Uraufführungen, wenn diese nach den Donaueschinger Musiktagen, dem Eclat Festival oder der MaerzMusik in den Archiven verschwinden?

Dass nicht allen Kompositionen die Ewigkeit auf den Spielplänen gegönnt ist, liegt in der Natur der Sache und ist in der Geschichte der Künste nichts Neues. Schaut man sich heute die Konzertprogramme des 19. Jahrhunderts an, stellt man fest, dass viele der gespielten Werke und Komponisten heute ganz unbekannt sind. Was wir heute aus dem 17., 18. und 19. Jahrhundert kennen, ist nur eine sehr kleine Auswahl dessen, was damals aufgeführt wurde.

Im Hinblick auf die Donaueschinger Musiktage ist es absolut verblüffend, wie viele „Klassiker“ und einflussreiche Werke hier uraufgeführt wurden. Ich habe zur Frage, was von den Donaueschinger Musiktagen für das „Repertoire“ bleibt, neben allen Programmen auch einmal Statistiken von Verlagen zu Wiederaufführungen studiert und mit Agent:innen, Journalist:innen etc. gesprochen. Eine realistische Schätzung ist, dass etwas 5 bis 10% der Werke bleiben.

Aber wie oft ein Werk anschließend gespielt wird, ist nur ein Aspekt der Bedeutung und Wirkung eines Festivals. Entscheidend ist auch, welche Impulse von den Uraufführungen ausgehen und das ist oft ganz unabhängig von der weiteren Anzahl der Aufführungen. Und schließlich liegt die Bedeutung des Festivals gerade darin, weit mehr als ein Ort von Uraufführungen zu sein, nämlich ein Ort des Austauschs, des gemeinsamen Erlebens von Musik, an dem anschließend leidenschaftlich über das Gehörte diskutiert wird und die Eindrücke in die Welt hinausgetragen werden – also ein Ort der gemeinsamen Reflexion über Musik. Es wäre stark verkürzend, wenn man die „Nachhaltigkeit“ eines Festivals allein auf die späteren Aufführungen der uraufgeführten Werke und Projekte reduzieren würde.

Abschlusskonzert | © SWR / Astrid Karger

Wie kann man das Programm der Donaueschinger Musiktage einem breiteren Publikum zugänglich machen?

Für viele vor Ort sind Klanginstallationen ideal „zum Einstieg“, weil sie sehr niederschwellig sind: Man kann jederzeit kommen und gehen, kann so lange bleiben, wie man möchte, sich meistens bewegen, die Position wechseln, und oft kann auch die visuelle Dimension der Installationen den Zugang erleichtern.

Auf der einen Seite ist das Wichtigste für den Zugang zum Hören, dass Hörende ihren eigenen Ohren vertrauen. Natürlich gilt auch für das Hören, dass man desto mehr hört, je mehr man weiß. Aber die Vorstellung, dass man als interessierte Person erst mal ganz viel wissen muss, steht dem Hören im Weg und zerstört ganz viel an Offenheit und Interesse. In Luxemburg habe ich mit den rainy days ein Festival geleitet, das sich vor allem an ein breites Publikum wendet. Dort habe ich immer wieder erlebt, wie befreiend es für Menschen sein konnte, wenn sie nicht mehr die Erwartung hatten, jeden Klang einordnen und „verstehen“ zu müssen, sondern sich dem Hören hingegeben haben.

Auf der anderen Seite planen wir in Donaueschingen ganz konkret verschiedene Initiativen, um das Programm einem breiteren Publikum zugänglich zu machen, zum Beispiel durch Einbeziehung von Donaueschingern. Und ganz zentral ist natürlich die Kommunikation eines Festivals, die viele Barrieren einreißen kann.