Sophia Günst privat

Interview mit Sophia Günst

Wie kamen Sie und Ihre Mitkomponist:innen zum Projekt?

Sophia Günst: Die künstlerischen Leiter:innen der jeweiligen Festivals haben in jedem teilnehmenden Land einige Komponist:innen ausgewählt und sich dann im Gremium für eine:n Komponist:in pro Land entschieden. Mit Krists Auznieks aus Lettland, Lauri Supponen aus Finnland und Oene van Geel aus den Niederlanden durfte ich mit tollen, erfahrenen und vielseitigen Komponisten an dem Stück zusammenarbeiten.

In meinem Fall kam der Kontakt über einen ehemaligen Kommilitonen aus Groningen (NL) zustande, der einige Jahre bei CLASSICAL BEAT mitgewirkt hat. In Groningen habe ich meinen Jazz Bachelor studiert und in Kompositionen oft Jazz und klassische Instrumente kombiniert, was sich für dieses Projekt gut eignete.

Wie entstand der Titel, das Thema LOKS, das die Vegetationsphase (auf lettisch „loks“) von der Aussaat bis zur reichen Ernte beschreibt?

Sophia Günst: Der Titel entstand auf unserer gemeinsamen Residenz in Sansusí (Lettland). Dort findet auch das letzte Festival und Konzert von LOKS statt. Wir waren in einer wunderschön gelegenen Gegend direkt am Wald und haben viel Zeit in der Natur verbracht, uns kennengelernt und das Konzept vom Kreislauf, der Natur, der Vegetationsphase und der menschlichen Verbundenheit dazu entwickelt. Durch die Nähe zur Natur war schnell klar, dass das Thema Einzug in unsere Komposition finden wird. LOKS ist lettisch und heißt übersetzt „Kreis“. In mehreren Hinsichten kann das Stück als Kreislauf betrachtet werden. Passenderweise vereint das Wort LOKS auch die Vornamen der Komponist:innen.

Auf vier Festivals, die über Europa verteilt stattfinden, wird jeweils ein Quartett aufgeführt. Diese Spanne zieht sich von Anfang Juni bis Ende August, das Stück entfaltet sich also über den Verlauf eines langen Sommers und geht auf eine Reise, die mit dem letzten Festival, in Sansusi (Lettland), dort endet, wo wir uns kennengelernt und das Stück ursprünglich entwickelt haben.

Wir betrachten die individuellen Parts unserer Komposition als einzelne Bäume eines Waldes, die beieinanderstehen, und die gemeinsamen Übergänge, die von einem Komponisten zum nächsten leiten, als Luft und Licht, die die Bäume verbinden. Man merkt, dass wir viel Zeit im Wald verbracht haben.

So wie unsere individuellen Parts innerhalb eines Quartetts verbunden werden, wird auch eine Linie zwischen den vier Ländern gezogen, in denen die Konzerte stattfinden. Bei jedem Konzert schwingen die vorangegangenen und folgenden Konzerte mit, die LOKS, den Kreis, letztendlich vervollständigen.

Aufgeteilt sind die Quartette in vier Wachstumsphasen. Beginnend mit der Aussaat beim Silence Festival in Finnland, geht es weiter mit dem Wachstum der Triebe beim Bach Festival in Dodrecht (NL). In Lübeck sind wir im dritten Stadium, der Wachstumsphase des Geästs und der Baumkrone, und in Sansusi (Lettland) enden wir mit der Phase der Frucht und Ernte.

Herausfordernd ist es, trotz unterschiedlicher musikalischer Herkunft und Wohnorte eine runde, gemeinsame Komposition zu schaffen, die in den jeweiligen Konzerten als Quartett, sowie im Film als 16-stimmiges Ensemble funktioniert – und das ohne Klicktrack zur Synchronisation. Außerdem schreiben wir für vier Quartette, die simultan, also vertikal, klingen sollen und trotzdem bei den Konzerten an unterschiedlicher Stelle im Stück erklingen. Innerhalb des 16-stimmigen Stücks erklingen also gleichzeitig Anfang und Ende von einzelnen Quartetten. Auch dadurch wird der Eindruck verstärkt, dass es wie im Kreis keinen Anfangs- oder Endpunkt gibt. (Keine Sorge, wenn man in den Erklärungen des Konzepts irgendwann aussteigt, wir hatten tagelang Zeit, um es uns und den Beteiligten verständlich zu machen.) Letztendlich spricht die Musik aber auch ohne Hintergrundwissen und durch den Beitrag der tollen Musiker:innen, die es performen werden, für sich.



Wie war das erste Zusammentreffen und wie haben Sie sich als Komponist:innen-Quartett entwickelt?

Sophia Günst: Wir haben uns erstmals in unserem Residency Center in Lettland getroffen und hatten einige Tage Zeit, uns kennenzulernen und zu komponieren. Es war spannend, da wir alle aus sehr unterschiedlichen musikalischen Richtungen kommen. Wir haben aber schnell festgestellt, dass wir alle großes Interesse und Respekt für die Arbeit und Kreativität der anderen haben. Die gemeinsame Arbeit fühlte sich sehr harmonisch und frei an. An manchen Tagen teilten wir das Haus mit anderen kreativen Menschen, die an den Festivals beteiligt sind und uns während der Zeit wunderbar unterstützt haben. So haben wir u.a. auch Toms Harjo kennengelernt, der alle Festivals filmisch begleiten wird und in diesem Film am Ende sozusagen die Fäden zusammenführt. Wir haben uns viel über unsere (musikalische) Herkunft und Kunst ausgetauscht, Musik gehört, gekocht, konzeptioniert, zusammen musiziert, Tonaufnahmen im Wald gemacht und die Zeit insgesamt sehr genossen.

Wie muss man sich den Kompositionsprozess musikalisch und logistisch vorstellen, wie viel passiert davon allein, wie viel gemeinsam?

Sophia Günst: Nachdem wir während der Residenz entschieden hatten, wie die Instrumentierung und das Konzept aussehen werden und gemeinsam kompositorisches Material gesammelt hatten, begann nach unserer Abreise aus Lettland das Komponieren der individuellen Teile. Wir schrieben also alle ca. 5-6 Minuten eigene Musik für alle vier Quartette. Zwischendurch haben wir uns mit Videocalls und zum Teil weiteren persönlichen Treffen auf dem Laufenden gehalten. Vor allem beim Komponieren der Übergänge von dem Teil eines Komponisten in den des nächsten, arbeiteten wir wieder enger zusammen, und sofort waren auch die Begeisterung und der kreative Fluss aus unserer Zeit während der Residenz wieder zu spüren.

Jetzt treffen wir uns bei jedem Festival wieder und proben dort einige Tage mit dem jeweiligen Quartett, bestehend aus den dort ansässigen Musiker:innen.

Wie und wo wird das Stück LOKS zu hören sein und wie wird aus 4x4=16?

Sophia Günst: Das Stück ist für vier Quartette geschrieben, die einzeln, aber auch simultan erklingen können. Einzeln werden sie auf den jeweiligen Festivals zu hören sein.
Zu Hören ist in Finnland am 09.06. ein Streichquartett (Vl, Vla, Cello, Kontrabass), in den Niederlanden am 23.06. ein Holzbläser Quartett (Querflöte, Oboe, Fagott, Bassklarinette), in Lübeck am 22.07. eine Band mit Schlagzeug/Percussion, E-Gitarre, Bass und Posaune und in Lettland am 10.08. ein gemischtes Quartett mit Bariton-Sänger, Kokle (lettische Harfe), Flügelhorn und Akkordeon.

Parallel dazu wird jedes Konzert filmisch festgehalten. Nach dem letzten Konzert gibt es also Film- und Tonmaterial von jedem Festivalkonzert. Diese werden im Film übereinandergelegt. Somit sind dann erstmals alle 16 Stimmen gemeinsam zu hören. Dadurch ist der Film nicht nur Dokumentation des Projekts, sondern auch ein eigenes Kunstwerk mit essenzieller Bedeutung für die Komposition.

Sind Kompositionen erklärungsbedürftig, macht es Sinn, ist es förderlich in einen Dialog mit dem Publikum darüber zu kommen, um auch verstanden zu werden, oder ist es gut, dass es eine private Sache bleibt und dem Publikum Raum für eigene Empfindungen und Interpretationen zu geben?

Sophia Günst: Ich finde es gut, wenn das Publikum die Musik unvoreingenommen auf sich wirken lassen kann und Raum für eigene Interpretationen ist. Trotzdem kann es bei solch komplexen Konzepten sehr hilfreich und wirkungsvoll sein, die Hintergründe zu kennen. Bei diesem Konzert schwingen in der Stille drei andere Quartette, Festivalkonzerte und Länder mit. Ich finde es vor allem wichtig, dass dem Publikum bewusst ist, dass sie einen Teil von einem größeren Ensemble erleben, ein Stadium der Vegetationsphase, eine Momentaufnahme, mit dem Wissen, dass sich ein großer Bogen über den Sommer und die vier Länder spannt, in die das Stück weitergetragen wird.

Für Interessierte ist dann auch relevant, dass das gesamte Stück mit den vollständigen 16 Stimmen am Ende des Sommers in dem Film angeschaut und angehört werden kann.

Was erwartet das LOKS-Publikum und was wünscht Ihr LOKS und Eurer Arbeit?

Sophia Günst: Das Publikum erwartet die Uraufführung eines Stücks von vier Komponist:innen unterschiedlicher Herkunft und Stile und somit eine große Bandbreite an Sounds und Ästhetiken.

Das Band Quartett auf dem CLASSICAL BEAT Festival wird aus Musiker:innen des Munich Composers Collective unter der Leitung von Gregor Huebner bestehen, die dann auch die zweite Konzerthälfte mit eigenen Kompositionen füllen werden.
Dieses Ensemble ist auch am Donnerstag schon auf dem Festival zu hören und sehr empfehlenswert! Man wird also einen ausgewählten Einblick in die aktuelle Szene unterschiedlicher Komponist:innen in Deutschland und Europa bekommen, es wird vielseitig und mit Sicherheit ein spannendes Hörerlebnis.

Ich bin sehr gespannt, wie das Konzept aufgeht und wünsche mir einen interessanten und stimmungsvollen Abend, bei dem die Band ihren individuellen, solistischen Moment gestaltet und genießt, und gleichzeitig Raum da ist für die unsichtbaren Kolleg:innen der anderen Quartette.


Was nehmen Sie für sich aus LOKS mit?

Sophia Günst: Wenn ich Musik schreibe, stehe ich oft auch selbst mit auf der Bühne. Für mich ist es eine neue Erfahrung, für viele tolle Musiker:innen aus unterschiedlichen Ländern zu schreiben und am Ende zuzuhören, wie das Stück lebendig wird. Ich freue mich sehr über die Begegnungen und das europäische Netzwerk, das dadurch entsteht.

Außerdem habe ich als Musikerin zwar von Klassik bis Contemporary viel unterschiedliche Musik gespielt, aber als Komponistin habe ich mich bisher vor allem in den Genres Jazz/Pop/Impro/Experimental bewegt und seltener in der klassischen und Neuen Musik. Durch das Konzept von LOKS und die gemischte Besetzung musste ich meine Comfortzone verlassen und habe mein Repertoire erweitert. Ich bin sehr dankbar für die Erfahrung und dafür, in diesem Prozess von inspirierenden, offenen Kollegen begleitet zu werden.

Zu guter Letzt gab es auch auf organisatorischer Seite ein sehr motiviertes Festivallinks-Team, das sich auf ambitionierte Ideen eingelassen hat und mir in guter Erinnerung ist.