alle Fotos: Helmuth Scham, www.schampus.com

Das Notenblatt ist leer, kalt und leblos.

Eine Begegnung mit dem Komponisten Bernhard 

Die Donaueschingen Musiktage 2016 experimentierten auch im letzten Oktober wieder nach Musiker Kräften mit Tönen und Effekten, dem Festival, wo ich musikalisch Bernhard Gander erstmalig begegnet bin. Das Festival gehört zu den wichtigsten Festivals für Neue Musik weltweit, und versteht sich als Marktplatz neuer Ideen. Seit vielen Jahren ist Donaueschingen ein wichtiges Datum in meinem Kalender, und die Neue Musik ist schon seit Langem in meinem Leben angekommen. Mein erstes Donaueschingen war 1993 und es klingt immer noch nach. Die Veranstalter verteilten Ohropax und fragten die Besucher nach etwaigen Herzerkrankungen, und das diese doch bitte den Konzertsaal verlassen sollten. Auf dem Programm standen Nam June Paik und eine deutsche Rockband. Dass es die Einstürzenden Neubauten waren, die jüngst auch die Elbphilharmonie auf „Belastbarkeit“ testeten, erfuhr man erst bei der Konzerteinführung. Was für eine Explosion für Ohren und Augen. Nam June Paik hatte auf jedem Finger eine Kamera installiert, und sein Spiel wurde an die Leinwand geworfen, unter der Die Einstürzenden Neubauten die Donauhalle musikalisch „zerlegten“. Eine bleibende Erinnerung und die Öffnung zum Tor der Neuen Musik.

Nachdem ich Bernhard Ganders „Cold Cadaver with Thirteen Scary Scars“ einem Stück für 21 das er selbst dirigierte, gehört und erlebt hatte, mit welcher Leidenschaft und Hingabe er die Musiker der Steamboat Switzerland und das Klangforum Wien zu musikalischen Höchstleistungen antrieb, stand für mich fest, dass er mein CARL ... mein Gesicht für die Assoziation CARL Orff wird.

Wir trafen Bernhard Gander bei den Proben zu „Totenwacht für Stimmen (2016)* anlässlich des ECLAT Festivals in Stuttgart. 

Wie laufen die Vorbereitungen für das ECLAT Festival in Stuttgart, wo Ihr Stück „Totenwacht für Stimmen“ zur Uraufführung kommt? Ich hab gehört, dass die Proben gut laufen.
Ich bin erst ab einer Woche davor dabei.

Wie entsteht ein Stück wie „Totenwacht für Stimmen“? Ist die Geschichte im Kopf, zu der Sie die Töne suchen, oder schreiben die Töne die Geschichte?
Das Stück entstand aus einer Idee von Sarah Chaker, die auch das Libretto verfasste, und mir. Bei einem Urlaub auf Ischia haben wir das Castello Aragonese besichtigt, das früher auch einmal ein Kloster war, und dort den „Aufbah- rungsraum“ der verstorbenen Nonnen entdeckt. Ein kleiner Raum, in dem die verstorbenen Schwestern in Sitzposition auf spezielle Steinsessel gesetzt wurden, um dort zu verwesen. Das heißt, bis alles Fleisch von den Knochen abgefallen war. Die lebenden Mitschwes- tern beteten dort in diesem Raum für die Verstorbenen und meditierten. Dieses spe- zielle Memento mori und der Umgang mit dem Tod haben uns zu diesem Stück inspiriert. Nach vielen Recherchen wur- den Originaltexte und neue Texte von Sarah Chaker in das Libretto aufgenommen und von mir vertont. Es gibt aber auch einige Stellen, bei denen schon eine musikalische Idee vorhanden war und später pas- sende Textpassagen eingefügt wurden. 

Wie kamen Sie zur Neuen Musik oder die Neue Musik zu Ihnen?
Ich verbrachte meine Schulzeit in Hall in Tirol. Dort gab es einen Veranstalter, Galerie St. Barbara, der viel Neue Musik programmierte. Eher zufällig und aus Neugierde hörte ich dort mehrere Konzerte und besonders bei einem Konzert, in dem das Klavierstück „Herma“ von Xenakis gespieltwurde,waresummich geschehen.

Was inspiriert Sie, woher nehmen Sie Ihre Ideen?
Inspiration kann alles sein. In den letzten Stücken beschäftigte ich mich intensiver mit den Themen Tod, Verwesung, Gewalt, Rache ... Themen, die eher aus- geblendet werden.

Sie haben in Innsbruck, Paris, Zürich und Graz studiert. Gibt es eine Definition per Lehre, was Neue Musik ist, und wie ist Ihre Auslegung dieser?
Es gibt keine Lehre, was Neue Musikseinsollte,aberesgibt leider so etwas wie einen Mainstream oder Meinungsmacher, dievorgeben,wie Neue Musik zu klingen habe. Gottlob ist aber die Neue Musik-Mafia nicht mehr so einflussreich, wie sie einmal war. 

Kommt daher auch Ihr Ruf als Rebell und Ausnahmeerscheinung im Kunstmusikbetrieb?
Ich würde mich nicht so sehr als Rebell bezeichnen. Neue Musik sollte per se schon rebellisch sein. Ich wehre mich gegen musikalischen Stillstand und prätentiöse Langeweile.

Sie haben viel ausprobiert. Welche grenzüberschreitenden Formate waren für Sie die spannendsten?
Die Arbeit mit Rappern, DJs, Techno war für mich sehr spannend.

Und was ist unverwirklicht, was steht im Ideenheft von Bernhard Gander?
Jetzt ist es die intensive Auseinandersetzung mit Death und Black Metal und der Versuch, diese Spielarten in meine Arbeit zu integrieren.

Wie finanziert man ein Stück und Sie sich damit selbst?
Ich bin im Moment noch in der glücklichen Lage, meine Arbeit und mein Leben durch Aufträge zu nanzieren.

Wie wichtig ist für Sie Erfolg, und was sind Ihre Kriterien, nach denen Sie diesen erspüren?
Persönlicher Erfolg für mich ist, wenn ich das Gefühl habe, das Stück „passt“. Der öffentliche Erfolg steht dann erst an zweiter Stelle. Ich bin aber auch ein sehr soziales Wesen und freue mich sehr, wenn meine Musik vom Publikum angenommen wird. 

Scheitern Projekte und wie ist Ihr Verhältnis zum Scheitern?
Scheitern ist ein sehr romantischer Begriff. Wenn ein Stück für mich nicht passt, wenn ich meine Vorstellungen nicht
umsetzen konnte, probiere ich es beim nächsten Stück einfach noch intensiver. Ich muss aber erkennen, warum ein Stück nicht gepasst hat bzw. „gescheitert“ ist.

Was passiert mit „Toten- wacht für Stimmen“ (Eclat) oder „Cold Cadaver with Thirteen Scary Scars“ (Donaueschinger Musiktage) nach der Uraufführung?
Ich hoffe sehr, dass die Stücke noch mehrmals gespielt werden, dass sie ein Eigenleben entwickeln. Vielleicht produziere ich auch eine CD oder eher eine LP.

Sie engagieren sich stark in der Vermittlung zeitgenössischer Musik. Warum ist Ihnen das wichtig und wie gehen Sie vor?
Ich kommuniziere sehr gerne über das, was ich mache, und will verstanden werden. Ich nehme sehr gerne Einladungen zu Vermittlungsprojekten an, bei denen über spielerische Methoden ein Zugang zu neuen Klängen, Rhythmen, Melo- dien, Strukturen gefunden werden kann.

Was verbirgt sich hinter „Explodierende Schubladen“, einem viel gelobten Vermittlungsprojekt für Kinder und Jugendliche?
Hinter den „Explodierenden Schubladen“ verbirgt sich die Figur des cholerischen „Hulk“, ein Comic-Charakter, mit dem ich mich im Orchesterstück „Hukl“ beschäftigt habe. Wut und Gewalt ist für mich ein musikalisch sehr interessanter Stoff und auch im realen Leben hat man damit viel zu tun. Im Vermittlungsprojekt „Explodierende Schubladen“, das von Barbara Balba Weber (Musikvermittlerin) geleitet wurde, sollten Jugendliche mit diesem Thema arbeiten und gemeinsam mit Orchestermusikern, mir und Barbara ein großes Stück komponieren.

Was wäre Bernhard Gander, wenn er nicht Komponist geworden wäre?
Tischler.

DAS GESPRÄCH FÜHRTE KAI GEIGER.