Nicole Johänntgen
Jazzmusikerin und Komponistin

 

In zehn Bundesländern, bestimmt durch den Landesmusikrat, ist das Saxofon Instrument des Jahres 2019, und ihm wird in diesem Jahr ein besonderes Augenmerk gewidmet. Der Belgier Adolphe Sax erfand 1840 das Saxofon und ließ es sich 1846 patentieren. Sein Ziel war es, ein Instrument zu gestalten, das vom Klang zwischen dem warmen Klarinettenklang und dem durchdringenden Klang der Oboe liegt.

Die im Saarland geborene Nicole Johänntgen ist Jazz-Saxofonistin (Alt- und Sopransaxofon) und Komponistin. Sie lebt inzwischen seit vielen Jahren in Zürich, ist dem Saarland, wo alles begann, aber immer noch sehr verbunden. So wurde sie im letzten Jahr Botschafterin des Landes Saarland, gemeinsam mit einem Kreis von mehr als 100 Persönlichkeiten aus Wirtschaft, Kultur, Wissenschaft und Gesellschaft. Neben ihrer regen Konzert- und Kompositionstätigkeit, dem Spiel in verschiedenen, zum Teil von ihr gegründeten Ensembles, wie z. B. als Teil der „Sisters in Jazz“ oder auch solo, ist sie sehr engagiert in der musikalischen Früh(jazz)erziehung wie beispielsweise in dem Netzwerk S.O.F.I.A., das von ihr ins Leben gerufen wurde und das sich für Frauen im Jazz einsetzt.

Die Landesmusikräte von zehn Bundesländern in Deutschland haben das Saxofon zum Instrument des Jahres 2019 erklärt. Ein kurzes Plädoyer, warum das Saxofon das tollste Instrument der Welt ist?

Haben Sie schon einmal Saxofon gespielt? Falls nicht, schnappen Sie sich eines und probieren Sie es aus. Es wird Ihnen gefallen! Ich gebe Ihnen die erste Stunde und dann haben Sie die Antwort! Das Saxo- fon besitzt eine grosse Soundpalette, die mich fasziniert. Ein klassisch oder jazzig gespieltes Saxofon klingt anders. Ich stau- ne immer wieder aufs Neue. Ein fantastisches Instrument!

Wie war Ihr Weg in die Musik, wie kamen Sie zum Saxofon?

Ich habe eine Saxofonistin gesehen in einer Musiksendung und wollte danach auch Saxofon spielen können. Sie war sofort mein Vorbild.

Gab es Künstlerinnen oder Künstler, die Sie in Ihrer Entscheidung, auf Ihrem Weg inspiriert und begleitet haben?

An erster Stelle meine Familie. Denn zu Hause gab es immer die Möglichkeit zu musizieren. In der Band meines Vaters. Im Jugendjazzorchester anschließend. Ich hatte und habe eine riesen Freude an meinem Instrument. Candy Dulfer, Maceo Parker, David Sanborn, Cannonball Adderly waren damals die Musiker, die mich inspiriert haben. Persönlich hat mich mein Saxofonlehrer Dieter Kraß an der Musikschule Sulzbach-/Fischbachtal inspiriert und begleitet. Noch heute denke ich sehr gerne an den Unterricht zurück. Während meines Studiums habe ich den Saxophonisten Dave Liebman kennengelernt. Er ist ein toller Lehrer und spielt fantastisch Saxofon. Ein weiteres Vorbild.

Sie sind als Komponistin und Musikerin gefragt und viel unterwegs und finden immer noch Zeit, Herzensprojekte zu initiieren und für diese da zu sein. Eines davon ist Kids Jazz Club. Was hat es damit auf sich, und warum ist Musik für Kinder so wichtig?

Es ist enorm wichtig, dass Kinder die Möglichkeit haben, Musik zu machen. Gemeinsam zu musizieren. Aufeinander zu hören. Konzentration beim Üben. Ich erinnere mich, dass ich den Ansporn hatte, besser zu werden auf meinem Ins- trument. Schon als Kind und jetzt immer noch. Wenn das ein Kind spürt, ist das doch nicht schlecht, oder? Musik gehört zur Bildung dazu und umso wichtiger in hektischen Zeiten.

Kids Jazz Club ermöglicht Kindern einen einfachen Einstieg in die Improvisation. Die Kids Jazz Club Workshops richten sich an Kinder mit und ohne Instrumente. Wir arbeiten viel mit Perkussion. Bewegen uns viel und vertonen alte schwarz-weiss Comicfilme. Basierend auf Improvisation. Alles ohne Notenblätter. Das macht allen sehr viel Spaß!

Manch Erwachsener hat mit Jazz so seine Mühe. Wie begegnen, lassen sich Kinder auf den Jazz ein?

Meine Schülerinnen und Schüler sind sehr offen für den Jazz. Ich habe viele Schüler, die noch sehr jung sind und mit denen ich zu Beginn Kinderlieder und bekannte Songs spiele. „Oh when the Saints“ spiele ich sehr gerne mit den Kids. Sie lassen sich auf alles ein, was Spaß macht.

Ein anderes Projekt ist SOFIA. Für was steht SOFIA? Wer oder was ist SOFIA?

SOFIA setzt sich für Frauen in der Musik ein. Der Name steht für Support Of Female Improvising Artists. Im Jahr 2013 habe ich zusammen mit Claudio Cappellari, Geschäftsführer des Zürcher Jazzclubs Moods, die Konferenz SOFIA ins Leben gerufen. Ich sage immer, dass es die Tochter von „Sisters in Jazz“ ist. Sisters in Jazz gehörte damals zur amerikanischen Organisation IAJE, International Association of Jazz of Education. Sie haben jährlich einmal im Jahr Frauen aus aller Welt ausgewählt, um in der Band „Sisters in Jazz“ zu spielen. Ich war im Jahr 2003 mit dabei als einzige europäische Musike- rin. Wir waren insgesamt sieben Frauen aus unterschiedlichen Ländern und ha- ben eine Woche mit professioneller An- leitung zusammen eigene Songs gespielt und intensiv geprobt. Die Band war Teil eines grossen Jazz-Kongresses. Wir waren mitten im Jazz-Imperium. Umgeben von Lizz Wright, Oscar Petersen, Dave Liebman, John Patitucci, Elvin Jones und vie- len anderen. Es war eine grandiose Zeit. Viel Spielen, neue Freunde gewinnen, super Energie und umgeben sein von der Top-Jazz-Liga. Vor einigen Jahren stoppte die Organisation IAJE das jährliche Zusammentreffen aufgrund von Geldproble-men. Fortan gab es kein „Sisters in Jazz“ mehr. Als ich davon hörte, habe ich mich an die tollen Momente zurückerinnert und fand es sehr schade, dass es diese wunderbare Plattform nicht mehr gab. Kurzzeitig dachte ich, ob ich wohl „Sisters in Jazz“ in der Schweiz weiterführen kann?

Wie entstand die Idee zu SOFIA und mit welchen Zielen und welcher Vision sind Sie an den Start gegangen?

Nachdem ich gehört habe, dass es „Sisters in Jazz“ nicht mehr geben wird, kam in mir der Wunsch auf, den Spirit des tollen Förderprogramms weiterzutragen, weiterzuführen, weiterleben zu lassen. Der Gedanke schlummerte ca. zwei Jah- re in meinem Kopf. August 2013, heisse Sommertage in Zürich, und es war Zeit, etwas Neues auf die Beine zu stellen. Ich wollte „Sisters in Jazz“ weiterführen auf eine zeitgemässe Art, vermengt mit Business-Wissen und Musikmachen. Ich wollte einen eigenständigen Namen hierfür haben, und da fiel mir während einer Tour der Name SOFIA – Support Of Female Improvising Artists ein.

SOFIA als Fortsetzung oder Tochter von „Sis- ters in Jazz“. SOFIA findet alle  zwei Jahre in der Schweiz statt und vergibt sechs Plätze an Musikerinnen aus der Schweiz und dem Ausland. Das Ziel ist es, Musikerinnen international zu vernetzen, sie zu ermutigen in dem, was sie machen und machen möchten, und ihnen ein umfangreiches Wissen über das Musik-Business mitzugeben. Mir ist wichtig, dass die Teilnehmerinnen aus unterschiedlichen Ländern kommen. Der Grund hierfür ist, dass jede von uns Infos über das Land erhält, wo man eventuell später einmal eine Konzerttour plant. So kann man wichtige Infos sammeln und austauschen. Zu allen Workshops werden Dozentinnen und Dozenten eingeladen, die mit ihren Erfahrungen ihr Wissen den Teilnehmerinnen weitergeben. Musikerinnen sind dazu eingeladen, sich zu bewerben mit einem Performance-Video und einem Motivations-Video. Eine Jury wählt sechs Teilnehmerinnen aus. 2018 haben Frauen aus der Schweiz, aus England, Österreich und Tschechien ei- nen Platz gewonnen.

 

Wie ist die Rolle, das Standing der Frauen im Jazz?

Mich freut es, dass es immer mehr Jazzmusikerinnen gibt, die ihre eigenen Projekte voranbringen. Die eine Vision haben. Mit oder ohne Kinder auf Tour sind und mit ihrer Musik und ihrer Persönlichkeit andere Musikerinnen und Musiker inspi- rieren. An den Hochschulen ist es noch so, dass es sehr wenige Jazz-Dozentinnen und Jazz-Professo- rinnen gibt. Das muss sich ändern. ich würde es sehr begrüssen, wenn es eine Art finanzielle Unterstützung gäbe für Frauen, die auf Tour sind und auf Babysitter angewiesen sind. Beim Thema Musikerin, Familie und aktives Touren gibt es noch einiges zu tun und zu überdenken, auch in Bezug auf Mutterschutz. Das Projekt „Babysitter on tour“ würde vielen Musikerinnen und Familien helfen.

Ist es gut so, oder was muss sich ändern, und was kann SOFIA dazu beitragen?

SOFIA ist ein Pool für Inspiration und Mut. Je mehr, desto besser.

SOFIA organisiert alle zwei Jahre im März ei- nen großen Kongress in Zürich? Was passiert dort?

Eine unserer Förderer ist die Zürcher Hochschule der Künste. Dort treffen sich die SOFIA-Teilnehmerinnen und das Organisationsteam und verbringen fünf intensive Tage miteinander. Je zwei bis drei Workshops finden pro Tag statt und beinhalten folgende Themen: Wie bewerbe ich mich effizient? Wie promote ich meine Musik? Auf was muss ich achten, wenn ich Verträge aufsetze? Wie steht es um meine soziale Sicherheit im Alter? Abends wird gemeinsam gejammt. 2018 haben wir fast täglich Jam Sessions gespielt. Nach wie vor ist dies für Musikerinnen und Musiker nicht eine ideale Plattform, um zu musizieren. Es ist eine Art Haifischbecken. Aber es ist eine gute Möglichkeit, um andere Musikerinnen und Musiker spielend kennenzulernen und zu sehen, wo man selbst steht. Das ganze Programm wird mit Yoga und Tai Chi abgerundet. Die Kurse sind ebenfalls offen für Zuhörerinnen und Zuschauer.

Wo und wie ist SOFIA präsent, und wie wird man ein Teil von SOFIA?

SOFIA ist im europäischen Raum präsent. Bisher erhielt ich Einladungen aus Schweden, Bulgarien, Island, USA und Deutsch- land. je eine SOFIA-Konferenz im Festivalprogramm oder Schulprogramm zu präsentieren. Meistens dauern diese Sessions zwischen einer und vier Stunden. In dieser Zeit decke ich alle Themen im Musikbusiness selbst ab, erzähle von meinen Erfahrungen und gehe spezifisch auf jede einzelne Musikerin und deren Wünsche ein und gebe ihnen Mut und Inspiration mit. Es gibt Dokumentationen zu den einzelnen Konferenzen in Zürich online auf der Website (www.sofia-musicnetwork.com).

Bei der grossen Konferenz in Zürich kann man mit dabei sein, wenn man sich ein halbes Jahr vor der Konferenz bewirbt. Die Bewerbungsphase dauert etwa drei Wochen. Wir achten bei der Auswahl darauf, dass sowohl Instrumentalistinnen als auch Sängerinnen mit dabei sind. Das ganze Programm ist sehr per- sönlich. Keine Massenabferti- gung. Sondern wir gehen auf jede einzelne Teilnehmerin ein, die einen Platz bei SOFIA gewonnen hat, und versuchen herauszufinden, was ihr gut tut, und sie in dem zu bestärken. Wenn man nicht ausge- wählt wird, kann man sich trotzdem auch als Zuhörerin viele Workshops anschauen. Wissen soll international geteilt werden, und dafür steht SOFIA.

Sie sind solo, mit Ihrer Band Henry, Ihrem Quartett, den „European Sisters in Jazz“ und vielen weiteren Formationen unterwegs. Und mit Piet Klocke? Wie kam es dazu?

Ich habe Piet Klocke schon im Fernsehen damals mit Frau Kleinknecht am Saxofon gese- hen und bewundert. Das hat mir immer gefallen. Und dann wusste ich, dass er in Zürich eine Rede hält für den bekannten Schweizer Musiker Nik Bärtsch. Ich war vor Ort und habe ihn gefragt an der Bar, ob ich ihm, Piet Klocke, meine CD schenken dürfte? Da hat er nicht nein gesagt. Von da an waren wir per Mail in Kontakt. Und dann fragte er mich eines Tages per SMS, ob ich eine Free Jazz spielende Saxofonistin kenne, die Lust und Zeit hat mit, ihm in der Schweiz aufzutreten? Dann überlegte ich kurz. Ich war im Flugzeug, kurz vor Start. Und ich dachte an meine Zeit in New York. Dort spielte ich intensiv mit einer Band namens „12 Houses“ jeden Sonntag im Nublu Musikclub Free Jazz. Und ich schrieb: Ja! Und so kam es zur Zusammenarbeit.

Was ist noch offen? Welche Ideen, Projekte sind noch nicht gemacht?

Mein Solo-Projekt starte ich jetzt mit Konzerten im In- und Ausland. Mein Orchesterwerk wächst. Wenn auch nur langsam. Ich habe mit meiner Henry Band eine Schallplatte aufgenommen und die sollten wir auch spätestens 2020 präsentieren. Es gibt noch einiges zu tun! Jetzt gibt es erst einmal meine erste Solo-CD in wenigen Wochen. Alles selbstgemacht. Von der Aufnahme bis zum Cover. Aber noch viel Arbeit! Smile!

DAS GESPRÄCH FÜHRTE KAI GEIGER.