Das Bundesjazzorchester spielt Bauhaus
Das Bundesjazzorchester ist das offizielle Jugendjazzorchester der Bundesrepublik Deutschland. Herausragende Nachwuchsmu- siker formen gemeinsam mit renommierten Dirigenten und Dozenten einen Klangkörper mit höchstem musikalischem Anspruch. 1988 von Peter Herbolzheimer gegründet gilt das Bundesjazzorchester heute als ausgezeichnete Talentschmiede für zukünftige Jazzmusikerinnen und -musiker.
Als künstlerisches Leitungsteam sind Prof. Jiggs Whigham und Prof. Niels Klein dem Orchester eng verbunden. Mit ihnen und wechselnden Gastdirigenten erarbeiten die zwi- schen 17 und 24 Jahre jungen Talente – fast alle sind Studenten an deutschen und inter- nationalen Musikhochschulen – regelmäßig neue Programme und präsentieren diese in anschließenden Konzerten im In- und Ausland. Begleitet werden sie dabei von einer internationalen Dozenten- und Profimannschaft, die sie musikalisch unterstützt und ihnen ein professionelles Umfeld und optimale Rahmenbedingungen bietet.
Nach bestandenem Vorspiel wird jedes Mit- glied maximal zwei Jahre in die Förderung des BuJazzOs aufgenommen. Dann rücken neue Talente in das Orchester nach, welches in der Jazzszene als Sprungbrett für eine erfolgreiche Musikerkarriere gilt. Unter den rund 900 Absolventen finden sich so herausragende Musiker wie Till Brönner, Roger Cicero, Tom Gaebel, Julia Hülsmann, Frederik Köster, Ro- bert Landfermann, Matthias Schriefl, Sebastian Sternal, Peter Weniger, Nils Wogram, Michael Wollny und Nils Wülker.
Das Bundesministerium für Familie, Senio- ren, Frauen und Jugend, der Westdeutsche Rundfunk, die Gesellschaft zur Verwertung von Leistungsschutzrechten (GVL) und die Daimler AG teilen sich die Förderung des Projekts. Auch die Teilnehmerinnen und Teil- nehmer tragen mit Eigenbeiträgen zur Finanzierung bei.
Das Bundesjazzorchester ist Preisträger des Frankfurter Musikpreises 2018 und ECHO JAZZ Preisträger 2012. 2010 erhielt das Ensemble den Jazzpreis des Westdeutschen Rundfunks, 1997 den Deutschen Musikpreis.
Mit Unterstützung des Auswärtigen Amtes reiste das Bundesjazzorchester vom 22. Juni bis 3. Juli mit dem Bauhaus-Projekt „Klingen- de Utopien“ in die USA und nach Kanada. Unter dem Titel „Klingende Utopien – 100 Jahre Bauhaus“ ist ein Konzertprogramm zu ausgewählten Bauhaus-Stummfilmen für Big- band mit Vokalensemble entstanden.
Wir sprachen mit Prof. Niels Klein, Musiker und künstlerischer Leiter des Bundesjazzorchesters (BuJazzO)
Wie war Ihre USA/Kanada-Reise mit dem Bauhaus-Projekt „klingende Utopien“?
Niels Klein: Die Tournee war eine tolle Erfahrung und sehr erfolgreich. Wir haben in Rochester, Toronto und Ottawa auf den großen Jazzfestivals gespielt und dabei auch viele unserer Kooperationspartner besuchen können. In Rochester befindet sich die Eastman School of Music – hier leben und arbeiten sowohl unsere Kuratorin für die Bauhaus-Filme, Reinhild Steingröver, als auch zwei der für das Projekt beauftragten Komponisten: Bill Dobbins und Oliver Schneller. Außerdem befindet sich dort das George Eastman House, ein großes Filmarchiv, aus dem wir die Originalversion der Filme der Bauhausprotagonisten für unser Projekt beziehen konnten. Die Mitglieder des Bundesjazzorchesters sind eine wunderbare Gruppe junger Musiker, mit denen es sehr viel Spaß macht zu reisen und zu arbeiten, außerdem haben wir ein tolles Team, so können auch kaputte Busse, Autounfälle, Highway- Vollsperrungen und arbeitsverweigernde Bühnenarbeiter einer solchen Tour nichts anhaben!
Wie klingt das Bauhaus, wie muss man sich das Programm „Klingende Utopien“ vorstellen?
Niels Klein: Unser „multimediales“ Projekt bezieht sich nicht auf „das Bauhaus“ im Allgemeinen, sondern beschäftigt sich ganz konkret mit Filmen von Künstlern aus dem Bauhausumfeld wie Lazlo Moholy-Nagy, Lotte Reiniger oder Walter Ruttman, die wir von Jazzkomponisten neu vertonen ließen. Die Filme sind sehr unterschiedlich, so gibt es z. B. drei Kurzfilme, von denen zwei Werbefilme sind – für Excelsior Reifen und Nivea-Creme –, einen Film über abstrakte Lichtstrukturen, der an heutige Videokunst erinnert, drei längere Filme, die man als Sozialstudien bezeichnen könnte, und eine 17-minütige Dokumentation über Hummerfischerei in Südengland. Die Filme sind aus den Jahren 1919-1936 und wurden von sehr unterschiedlichen Komponisten mit z. T. sehr unterschiedlichen Ansätzen auf ihre jeweilige Art mit Jazzkompositionen versehen. Dadurch bildet sich ein recht breites Spektrum der heutigen Jazzmusik von traditionell bis zeitgenössisch ab und wird in Kombination mit den teilweise eher ernsten, aber mitunter auch sehr unterhaltsamen Filmen zu einem, wie ich finde, sehr außergewöhnlichen Konzerterlebnis.
Wie haben Sie sich als künstlerischer Leiter auf das Bauhaus und die Vermittlung der Musik und Kultur der Bauhausära an ihre jungen Musiker vorbereitet und sie dafür begeistert?
Niels Klein: Ich war bei diesem Projekt auch als Komponist beteiligt und habe ein Stück zu dem Moholy-Nagy Dokumentationsfilm „Lobsters“ geschrieben. Das war eine durchaus anspruchsvolle Aufgabe, bei der ich in die Bildsprache von Moholy-Nagy voll eintauchen konnte, allerdings in diesem bizarren Auftragswerk schon gebrochen durch viel Humor und die ersten „Unterwasseraufnahmen“. Meine Aufgabe als Dirigent bzw. künstlerischer Leiter war es dann vor allem, den Musikern die sehr unterschiedlichen Stilrichtungen nahezubringen. Es gibt sehr traditionelle „Swing-Stücke“ (Bill Dobbins „Marseilles Vieux-Port“), aber auch sehr abstrakte Ansätze wie z. B. Christopher Dells Stück zu „Lichtspiel Schwarz-Weiß-Grau“, in dem er Moholy-Nagys Konzept des „zerstörten Mediums“ aufgreift und geradezu die Notation zerstört. Das Stück „Berliner Stillleben“ von Gebhard Ullman arbeitet mit Collagentechniken und ist mikrotonal, ein anderes wurde sogar von einem zeitgenössischen klassischen Komponisten geschrieben. Das alles unter einen Hut zu bringen und die jeweilige Musizierhaltung für das Stück herauszukitzeln ist spannend, aber durch die große Offenheit der jungen Musiker am Ende dann doch gar nicht so schwer.
Wir haben zu Beginn der Probephase auch eine kleine „Bauhaus-Einführung“ gegeben und bei unserem Konzert auf dem Kurt-Weill-Fest auch die Meisterhäuser besucht.
Wird das Programm im Jubiläumsjahr 2019 auch in Deutschland zu hören und sehen sein?
Niels Klein: Wir haben dieses Jahr bereits mehrere Konzerte in Deutschland gespielt (Dessau, Bonn, Trossingen) und werden das Programm am 17.08. auch noch einmal in Trier aufführen. In 2019 gehen wir dann noch einmal damit auf Tournee und werden die Musik in der „White City“ von Tel Aviv und wenn alles gut geht auch noch in New York und Chicago aufführen. In diesem Zusammenhang gibt es aber auch ein oder mehrere Konzerte in Berlin und für 2019 sind auch noch weitere Konzerte in Deutschland in Planung.
In diesem Jahr besteht das Bundesjazzorchester 30 Jahre. Was ist das Bundesjazzorchester, wie kam es dazu, und wie wird man Mitglied im Bundesjazzorchester?
Niels Klein: Das „BuJazzO“ – wie wir es nennen – ist ein Projekt des Deutschen Musikrats und wurde 1988 als Fördermaßnahme für junge Jazzmusikerinnen und Jazzmusiker mit Peter Herbolzheimer als festem künstlerischen Leiter – der das Projekt dann auch fast 20 Jahre maßgeblich geprägt hat – gegründet. Inzwischen besteht das feste künstlerische Leitungsteam aus Jiggs Whigham und mir, die Hälfte der Projekte wird aber auch von Gastdirigenten geleitet, sodass wir mit dem Orchester eine große Bandbreite an stilistischer Vielfalt innerhalb des Jazz präsentieren können.
Es gibt alle zwei Jahre ein großes Vorspiel, bei dem aus inzwischen über 200 Bewerbern die aktuelle Besetzung ausgewählt wird, die dann für besagte zwei Jahre zusammenbleibt und vier große Arbeitsphasen sowie kleinere Projekte und Tourneen absolviert. Die Altersgrenze liegt dabei bei 24 Jahren, das Durchschnittsalter ist meist so um die 21, die meisten Teilnehmer sind also Studenten, meist an deutschen Musikhochschulen.
Mehr als 900 Absolventen, darunter so namhafte Musiker wie Till Brönner, Michael Wollny oder Roger Cicero, hat das Bundesjazzorchester hervorgebracht. „Futter“ und Gewicht genug für ein großes, breit aufgestelltes und hochkarätiges Jazzfestival mit dem BuJazzO als Gastgeber?
Niels Klein: Die Absolventen des BujazzO bilden tatsächlich ein sehr großes Netzwerk, und man kann fast sagen, dass fast alle deutschen Jazzmusiker, die professionell tätig sind – natürlich mit Ausnahmen – irgendwann mit dem BujazzO zu tun hatten, insofern wäre so ein Festival einfach ein „nationales deutsches Jazzfestival“ …
Aber das ist natürlich eine schöne Idee und wir werden darüber nachdenken!