Besuch beim Käsepapst
Bernard riecht.


Bernard Antony ist der wohl berühmteste Affineur der Welt. 13 Drei-Sterne-Köche beziehen den Käse, den er veredelt hat. So weit wie er schafft man es mit außergewöhnlichem Talent – und mit vier Stunden
Schlaf pro
 Nacht.

Bernard Antony ist müde. Seine Augen sind zu kleinen Schlitzen verengt und wenn man ihn so betrachtet,
müsste man eigentlich befürchten, dass er in wenigen Momenten einnickt. Seit sechs Uhr früh ist er auf den
Beinen, eine Autobahnfahrt von sechs Stunden hat er auch schon hinter sich. „Ich bin nach Reims gefahren,
wo ich für einen Kunden ein Buffet kreiert habe.“ Es ist jetzt später Nachmittag. Wenn dieses Gespräch beendet
ist, wird Bernard Antony bis in den Abend hinein an der Ladentheke stehen, anschließend gilt es, den
nächsten Tag vorzubereiten. Gegen Mitternacht wird er Feierabend machen. „Vier Stunden Schlaf, das ist
normal. Manchmal werden es auch fünf. Das hat sich seit 1983 nicht geändert.“

1983 – das ist das Jahr, in dem Bernard Antony mit dem begann, wofür er heute berühmt ist. Damals startete
er seine Laufbahn als „Affineur“, das ist ein Beruf, den man nur in Frankreich so kennt, und der mit der
deutschen Bezeichnung „Käseveredler“ nur unzureichend umschrieben wäre. 13 Drei-Sterne-Köche zählt
Bernard Antony heute zu seinen Kunden, ebenso 27 Zwei- sowie 30 Ein-Sterne-Köche. Häufig kommen auch
Liebhaber in seinen kleinen Laden, oder Menschen, die etwas Besonderes für ihre nächste Feier suchen. Nicht
selten legen sie dafür 400 Kilometer und mehr zurück – den Rückweg noch gar nicht eingerechnet. „Wenn
man Hunger hat, kann man jeden Käse essen. Aber Genießen, das ist was anderes“, sagt er. Deshalb kommen
die Leute zu ihm.

Bernard Antony ist ein eher kleiner Mann von 69 Jahren, dem die Zeit nur wenige Haare gelassen hat. Er lebt
und arbeitet in Vieux-Ferrette, einem verschlafenen Dorf im Elsass mit engen Gassen voller Schlaglöcher und
Kühen auf der Weide. Hier hat er seinen „Sundgauer Käs Kaller“, einen kleinen Laden voller Käsespezialitäten
– und seine sieben Lagerräume, in denen er die unterschiedlichen Käse reifen lässt. Etwa 100 Sorten umfasst
sein Angebot, es sind alles Rohmilchkäse, pasteurisierte Milch findet Bernard Antony unerträglich. Wenn er
einen Käse beim Erzeuger kauft, ist dieser zwar schon fertig – aber eigentlich nicht richtig. Erst durch die
wochen-, monate- oder gar jahrelange Lagerung in Bernard Antonys Kellern wird aus einem guten Käse ein
perfekter.

Wie genau das funktioniert, ist eigentlich ganz einfach – und doch eine Wissenschaft für sich. Bernard Antony
lagert seine Rohware in einer Art Käse-Apartheidssystem: Hartkäse darf bei ihm nur neben Hartkäse liegen,
Ziegenkäse nur mit anderem Ziegenkäse und auch Rotschmier-, Blauschimmel oder Weißschimmelkäse
bekommen einen eigenen Raum. Dort schlummern die Käse in langen Holzregalen, nur einige von ihnen
werden gelegentlich gebürstet oder mit Salzlake oder Weißwein eingerieben. Zwischen sieben und 14 Grad ist
es in den Räumen kalt, wann genau welche Temperatur angebracht ist, entscheidet Bernard Antony nach
Gespür.
Spezialgeräte sorgen für eine hohe Luftfeuchtigkeit – und damit dafür, dass die Kammern leben:
weißer, grauer oder roter Flaum wächst auf allen Laiben, irgendetwas wuchert in jeder Ecke – und es duftet
so intensiv nach Käse, dass man glauben mag, der Geruch setze sich in der Kleidung fest. „Das ist alles keine
Kunst. Es gibt kein Geheimnis“, sagt Bernard Antony über sein Reich.

Bevor Bernard Antony Käse veredelte, war er lange Jahre als fliegender Händler unterwegs. Er zog von Dorf
zu Dorf und verkaufte Zucker, Butter, Kaffee, Kleidung – und Industriekäse, den er auch selber aß. Das war
das, was er damals für Käse hielt und vielleicht auch noch heute halten würde, hätte ihm nicht Ende der
70er-Jahre ein Bekannter vorgeschlagen, sich doch einmal mit Pierre Androuët zu treffen. Androuët war
seinerzeit ein bekannter Affineur aus Paris – und für Bernard Antony doch nur ein potentieller Lieferant für
seinen Handel. Das änderte sich sehr schnell, als er anfing, den Käse zu essen, den er nun verkaufte. „Es war
eine ganz andere Welt. Durch Androuët habe ich gelernt, was Käse ist“, sagt er heute über den Kontakt.

Bernard Antony begann, den Meister mit Fragen zu löchern, mit Anrufen zu bombardieren, so lange, bis er alles wusste über Käse. Bei wem man kauft, unter welchen Bedingungen man lagert, wann er reif ist. Mit dem
Wissen baute Antony seinen Laden auf. Es ist sicher so, dass Bernard Antony von Anfang an ein
außergewöhnliches Talent für die Arbeit als Affineur mitbrachte, ein Gespür dafür, was einen perfekten Käse
ausmacht – und doch gilt: In erster Linie hat er ihn sich erarbeitet, den Käse.

Und das ist heute noch so: Während des Gesprächs in einer Nische seines verwinkelten Käsekellers betreten
immer wieder Kunden den Laden. Bernard Antony könnte einfach sitzenbleiben und weiterreden, eine Angestellte
ist da und auch sein Sohn, mit dem er das Geschäft inzwischen gemeinsam leitet. Statt dessen hält er
einen Schwatz mit jedem Besucher, geht die Käsetheke durch und das Weinregal. Ein Foto an einer der holzvertäfelten Wände zeigt Bernard Antony und seinen Sohn, wie sie hinter einem runden Käselaib in der Größe
eines Traktorreifens stehen. Das obere Achtel des Laibes ist abgeschnitten, an seiner Stelle drängen sich die
beiden Köpfe. Es ist ein Bild im selben Stil wie solche von Männern, die nach der Jagd hinter dem erlegten
Wild knien, und vielleicht lässt sich Bernard Antonys Verhältnis zu Käse damit ganz gut beschreiben.

Worüber man schlecht mit ihm reden kann, das ist die Frage nach dem Warum: Monsieur Antony, Käse, das
ist doch eigentlich nichts anderes als vergorene, schnittfeste Milch. Warum mögen wir Menschen das
eigentlich so gerne? Haben Sie da mal drüber nachgedacht? „Nein.“ Stille. Nach einer Weile fügt er hinzu:
„Menschen mögen Käse. Das war schon immer so. Und unsere Kunden sind froh, dass sie uns haben.“
Das Warum ist nichts, das einen Platz im Kosmos von Bernard Antony hat. Es ist das Wie, das zählt.

Und dazu gehören auch die endlosen Touren. Affineur zu sein, das bedeutet nicht nur, Käse veredeln zu
können. Neben den ständigen Besuchen bei Kunden wollen auch die Lieferanten kontrolliert werden – wobei
Bernard Antony das nie so formulieren würde. „Ich habe keine Lieferanten. Ich habe nur Freunde“, sagt er
dazu. Wenn Bernard Antony Freunde besucht, überzeugt er sich etwa davon, dass die Tiere nur natürliches
Futter bekommen oder, dass nicht mehr als allerhöchstens 300 Ziegen auf einem Hof leben. Alles andere
wäre zu nah an industrieller Produktion und genauso tabu wie pasteurisierte Milch.

Morgen steht wieder so ein Besuch bei einem Freund auf dem Programm. Es geht in die nahe Schweiz, Bernard Antony muss deshalb nicht den halben Tag auf der Autobahn verbringen. Er kann ausschlafen.
Der Wecker klingelt um sieben.

Text: Sebastian Stoll, www.sebastian-stoll.de  |  Foto: Helmuth Scham, www.schampus.com

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